Wie Heilkräuter einen Wirtschaftskrieg auslösten

In der langen Tradition der Kräuterheilkunde hätte es die Erfolgsgeschichte schlechthin sein können. Für ihre exzellente Qualität waren die Arzneimittel der L‘Abbazia Santa Maria di Praglia wohlbekannt. Zeugnisse, Urkunden und Lobschreiben zeugen noch heute davon. Moderat und erschwinglich waren ihre Preise. Die Mönche fühlten sich der “Regula Benedictus“ verpflichtet, welche für die Produkte eines Klosters vorschreibt, dass sie mindestens kostendeckend aber stets preiswerter als außerhalb der Mauern verkauft werden sollen (RB 57, 7-9).

Die verbotene Apotheke

Auf der Welle des Erfolgs

Offensichtlich florierte der Abverkauf von Mixturen, Tinkturen, Pillen, Latwergen, Extrakten, Konserven, Sirupen, Auszügen und Kräuterdrogen in der klostereignen Apotheke. Zeugnisse von Inspektionen und Prüfungen durch die zuständigen Amtsträger der Aufsichtsbehörden bescheinigten, dass sie alle „von perfekter Qualität und anwendbar“ waren. Gerade die Frische der Arzneimittel beeindruckte die Prüfer. Das kann als indirekter Verweis einer hohen Nachfrage für die Produkte aus der Kloster-Apotheke gelesen werden. Statt der üblichen Lagerhaltung existierte offenbar eine funktionierende kontinuierliche Produktions- und Versorgungskette innerhalb der Klostermauern.

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Anspruch und Realität

Einer Konkurrenz, die ihre Waren vernichten und beseitigen musste, weil sie mangelhaft waren, konnte das nicht schmecken! Überlieferungen bezeugen, dass mehr als einmal Paduas Apotheker, nach regulären Inspektionen ihrer Farmacias, zu diesen demütigenden Handlungen in aller Öffentlichkeit verpflichtet waren. Ein weiterer erschwerender Umstand war, dass die Drogisten der Kloster-, Stifts- oder Konventsapotheken nicht immer seitens der Fraglia approbiert waren. Die Fraglia war eine mit den deutschen Zünften und Gilden vergleichbare Vertretung der Berufsstände auf dem Territorium der Republik Venetien und deren angegliederten Gebiete. Dennoch hatten die Benediktiner selbst bei innovativen Produkten die Nase vorn.

Die Loggia des Cloistro pensile gibt den Blick frei auf die Gärten der Abbazia di Praglia.
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Dunkle Wolken sind kein Wetter

Dunkle Wolken zogen bereits ab dem Jahre 1760 über den Heilkräutern und der Klosterapotheke auf. Der Magistrat für Gesundheit von Venedig entzog den Klöstern die Befugnis, welche die kostenlose oder preiswerte Abgabe von Medikamenten und Spezialitäten aus eigener Herstellung an Bedürftige gestattete. Wohltätige Zuwendungen mit den Kräften der Kräuter hatte sich ab diesem Zeitpunkt ausschließlich auf die umliegenden und dem Kloster zugehörigen Ländereien zu beschränken. Bedürftigen aus den angrenzenden Ländern und Herzogstümern war mit dieser Order der Zugang verwehrt. Acht Jahre später eskalierte die Auseinandersetzung am 18. Dezember 1768. Der Cellerar der Abbazia di Praglia „wird über die Entscheidung unterrichtet, den Benediktinern die gnädige Befugnis zu entziehen, Arzneimittel für wohltätige Zwecke abzugeben,“ um so wörtlich: „den Missbrauch (…) zu korrigieren, der von den Benediktinern der Abtei Praglia beim Verkauf von Medikamenten unter Missachtung der Gesetze dieses Magistrates“ betrieben wurde.

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Krieg den Kräutern!

Die vorangegangenen Auseinandersetzungen entbehren nicht einer gewissen Demagogie. Wurde zuerst betont, dass der Verkauf der Kräuterarzneien durch die Mönche eine „ernsthafte Störung“ darstelle, war man in diesem Punkte noch ehrlich. Um dann wenig später mit wissenschaftlich unhaltbaren Argumenten zur Verunglimpfung auszuholen. Das spiegelt sich kruden Behauptung wieder, die Kräuterarzneien könnten „die Wirksamkeit der herkömmlichen Medikamente untergraben“. Den Gesetzmässigkeiten der Rhetorik folgend, wird die Verantwortung automatisch dem vermeintlichen Verursacher „für jeden Defekt oder jede Störung … , die sich aus ihrer medizinischen Zusammensetzung ergeben könnten,“ zugeschrieben. Trickreich drohten die Verfasser des Verdiktes mit dem Damoklesschwert der Schadenersatzforderung. Mit einer Risikoüberschreibung, wird die Gegenseite zum Abwägen zwischen Gewinn und der zu erwartender Regressforderungen gezwungen. Eine noch heute gebräuchliche Form in der freien Wirtschaft, Kontrahenten einzuschüchtern und zum Rückzug aus dem Geschäftsfeld zu drängen. Damit war der Kraft der heilenden Kräuter und dem benediktinischen Handeln der Krieg erklärt.

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Silentium!

Einer Ermahnung gleich, spricht der Benediktinermönch in seinem schwarzen Habit bedächtig diese eindringlichen Worte aus, bevor er die vergitterte Tür zur Klausur öffnet. Das Öffnen dieser Tür macht sichtbar, was sonst die meterhohen Mauern und verriegelten Tore vor den Blicken der Außenwelt verbergen. Die Sonne scheint strahlend auf die frisch geschnittenen Buchsbaumbüsche und den plätschernden Brunnen in der Mitte des Kreuzgartens. Es ist schwer vorstellbar, dass in diesem sonnenbeschienen grünen Geviert einst unter den strengen Blicken des Infirmarius die wertvollen Heilkräuter gediehen. Nur noch der Name kündet davon: Chiostro botanico. Die suchenden Blicke nach der Klosterapotheke finden keine Anhaltspunkte für eine ehemals prosperierende Werkstatt der Pharmazie in Praglia. Alle der damaligen Räumlichkeiten sind heute einer anderen Bestimmung zugeführt. Jeder, der jemals ein Heilkraut in dem Renaissancekloster am Fusse der Euganeischen Hügel sehen will, muss einem der Mönche folgen, entlang der terrakottagefliesten Gänge, über weisse Marmortreppen hinauf ins Chiostro pensile. 

Königliche Hilfe beim Neubeginn

Den Bienenköniginnen ist es zu verdanken, dass es Anfang der Fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts einen Neuanfang für den Kräuteranbau in der Abtei gab. Gemeinsam nit ihren Völkern zogen sie in die mit hohen Mauern umgebenen Gartenanlagen des Klosters. Ihre Behausungen in bunt bemalten Kästen fanden Platz zwischen den Beeten und Bäumen in den Gärten. Direkt vor ihren Wohnstätten wachsen all die leckeren Kräuter, die Bienen nähren, und den Rohstoff für aromatische und gesunde Tees bilden. Die Kräuter wachsen nicht zufällig. Voller Sorgfalt in Reihen sind die Beete angelegt – mit einem Brunnen in der Mitte. An sauberen, trockenen, sonnigen und luftigen Plätzen werden die Kräuter zum Trocknen ausgelegt, bevor sie zur Weiterverarbeitung geeignet sind. Letztendlich landen sie wohlgeordnet in den hölzernen Regalen des Klosterladens, wo sie hoffentlich ein Kunde findet, der sie zu schätzen weiss. Heilkräuter dürfen sie heute nicht mehr sein. Die Konzession für eine Apotheke wurde der Abtei nie wieder erteilt.

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Internet-Adresse und Anfahrt:

Die Abbazia di Praglia schmiegt sich an den bewaldeten Fuss der Eugenischen Berge. Vor ihren Toren kreuzen sich zwei Wanderwege. Ein Parkplatz ist für die motorisierten Besucher reserviert. Einen entspannten Ausflug mit dem Fahrrad von einem der Kurorte rings um Abano Terme garantieren mehrere gut ausgeschilderte Fahrradwege.

https://www.praglia.it

Quellen:

La farmacia nel chiostro; Matteo Zampieri, Edizioni Scritti Monastici, Abbazia Praglia 2018

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/arzneimittel-schutzschirm-fuer-deutsche-apotheken-spahn-riskiert-streit-mit-der-eu/24593466.html